Sprichwörter aus dem Deutschen Sprichwörter Lexikon
von Karl Friedrich Wilhelm Wander (1867 - 1880)
die keine deutschen Sprichwörter sind
Seit über 100 Jahren stehen in etlichen deutschen Sprichwörterbüchern viele angeblich deutsche Sprichwörter, die es tatsächlich aber nicht sind. Das liegt am Deutschen Sprichwörter Lexikon von Karl Friedrich Wilhelm Wander, das er zwischen 1867 und 1880 in 5 Bänden veröffentlichte, aus dem nachfolgende Autoren abschrieben.
Im Deutschen Sprichwörter Lexikon stehen viele Sprüche, die keine deutschen Sprichwörter sind. Quellen sind mehrere Bücher mit von Wander selbst produzierten Sprüchen, die er mit als Quelle für das Sprichwörter Lexikon benutzte.
Dazu gehören die Bücher, mit Erscheinungsjahr:
■ Scheidemünze 1831 und 1832 ■ Weihnachtsnüsse 1832 ■ Nüsse für Kinder aufs ganze Jahr 1835 ■ Allgemeiner Sprichwörterschatz 1836 ■ Der Sprichwörtergarten 1838 ■ Politisches Sprichwörterbrevier 1872 (unter Pseudonym Dove).
Des weiteren zog er viele Sprüche aus der Literatur, die er fälschlich Sprichwörter nannte, angefangen aus den Werken von Abraham a Sancta Clara, die er schon 1838 unter dem Titel Abrahamisches Parömiakon herausbrachte.
Etliche Werke, Romane, Zeitungsartikel und anderes von anderen Autoren lieferten ebenfalls reiche Ausbeute, die er mit dem sich selbst attestierten „Sprichwörterohr“ erkannt haben will. Es sind meist Zitate der Autoren aus dem jeweiligen Text, aber keine Sprichwörter. Diese Zitate können Sprichwortähnlich, Aphorismen, Maximen, Sentenzen und anderes sein, aber keine Sprichwörter, da sie nie im Volk als Sprichwort verbreitet, gebraucht wurden oder bekannt waren.
Das schließt nicht aus, das Sancta Clara und andere Autoren an anderen Stellen auch Sprichwörter gebraucht haben. Die sind aber dann unabhängig von ihnen auch bei anderen Autoren als Sprichwörter zu finden.
Zur Kritik, er hätte Sprichwörter selbst erfunden und produziert, schrieb Wander im Vorwort des 1. Bandes, Seite XXIX:
„Es ist wahr, wie ebenfalls bereits erwähnt, ich habe in den Jahren 1831–32 unter dem Titel Scheidemünze neue Sprichwörter herausgegeben, aber ich habe das Volk damit nicht betrogen; denn ich habe auf dem Titel und im Vorwort offen und ehrlich gesagt, wie sie entstanden sind.
Was nun die neuen Sprichwörter betrifft, die ich herausgegeben habe, dieses in den Augen des mit Herrn Harrebomée korrespondierenden deutschen Kritikers unverzeihlichste aller Verbrechen, so weiß ich so gut wie Herr Harrebomée, dass Sprichwörter am Schreibtisch nicht gemacht werden. Allein das Sprichwort ist eine Form, Gedanken darin niederzulegen, eigene wie fremde, so wie das Sinngedicht, die Fabel und Parabel u.a. Hätte ich die Gedanken statt in Sprichwörterform als Sinngedichte drucken lassen oder hätte ihnen einen andern Titel gegeben, so hätten die gelehrten Hähne à la Harrebomée nicht darüber gekräht. Aber ich sehe nicht ein, auch heute nach mehr als dreissig Jahren nicht, warum ich nicht berechtigt sein soll, das, was die Form eines Sprichworts hat, auch Sprichwort zu nennen.“
Das bedeutet, Wander gibt zu, etliche Sprichwörter selbst produziert zu haben, stellt sie aber gleichwertig neben die „echten“ Sprichwörter. Sehr oft sind Wanders eigenen Sprüche und Gedanken in Sprichwortform nicht von den wirklichen Sprichwörtern zu unterscheiden und werden fälschlich als solche angesehen. Für Wander kommt es auf die Form an, nicht darauf, ob jemand sie, wie er gerade selbst erdachte oder ob sie wie bei echten Sprichwörtern üblich und erwartet über lange Zeit unter den Menschen entstanden und im Umlauf waren.
Einige Fehler kommen schon von anderen Autoren, Beispielsweise aus dem Buch „Deutsche Rechtssprichwörter“ von Eduard Graf und Mathias Dietherr aus dem Jahr 1864, die ihrerseits aus fremden Texten einige falsche Sprichwörter produzierten. Zum Glück haben sie Quellenangaben beigefügt, so das man ihre falschen Sprüche nach einigem Suchen an Hand der Quellen entlarven kann, wenn man sie im Original einsieht.
Hinzu kommen noch viele fremdsprachige Sprichwörter aus Sammlungen diverser anderer Länder. Von anderen übersetzte Sprichwörter bekamen teilweise den Hinweis auf das Ursprungsland, einige nur den Namen des Autors als Quelle, ohne Angabe der Herkunftsländer, oder blieben ganz ohne eine Bemerkung.
Die fremden Sprichwörter setzte Wander als Ergänzung unter vergleichbare deutsche Sprichwörter. Oft fügte er die in die deutsche Sprache übersetzten fremden Sprichwörter aber erst alleine ohne ein deutsches Sprichwort ein, als Platzhalter für vergleichbare deutsche, die er erst zu finden hoffte. Viele dieser fremden Platzhalter blieben alleine, da kein deutsches Sprichwort gefunden wurde und stehen dort im Lexikon als vermeintlich Deutsches, sind aber nur verweiste Platzhalter und Übersetzungen anderssprachiger Sprichwörter. Wander war sich dessen zwar bewusst, konnte es aus Zeitmangel beim Druck und Korrekturlesen nicht mehr rückgängig machen. In der Vorrede zum 1. Band auf Seite XIII hielt Wander diesen Mangel nicht für wesentlich und hoffte, sie bei einer späteren Auflage zu beseitigen:
„Es sind dies indess Mängel von, wie ich glaube, nicht wesentlicher Bedeutung und lassen sich sehr leicht bei einer spätern Auflage beseitigen. Ich muss hier überhaupt bemerken, dass es einer spätern Bearbeitung vorbehalten bleiben muss, das Ziel zu erreichen, welches mir selbst aus Mangel an geeigneter Unterstützung zu erreichen versagt war. Jede menschliche Kraft hat eine Grenze; und ich musste, wenn nicht die ganze dreissigjährige Arbeit verloren sein oder unvollendet bleiben sollte, manches unausgeführt lassen, was zu meinen eigenen Wünschen gehörte.“
Leider verstarb Wander 1880 vor dem Druck des 5. Bandes und konnte keine weitere Bearbeitungen durchführen. Ebenso bearbeitete niemand anderes das Deutsche Sprichwörter Lexikon oder verbesserte Fehler. Bis heute sind die mehrfachen Nachdrucke unverändert wie die 1. Ausgabe, mit den darin enthaltenen Fehlern und Mängeln.
Zusätzlich veränderte Wander oft auch den Wortlaut seiner Quellen, bei deutschen und fremdsprachigen Sprichwörtern gleichermaßen. Aus manchen längeren Sprichwörtern machte er zwei, aus verschiedenen Versionen eines Sprichwortes setzte er neue eigene Sprüche zusammen und anderes mehr. Mehrere Versionen mit verschiedenen Wortzusammenstellungen oder Reihenfolge eines Sprichworts aus verschiedenen Quellen führte Wander öfters als verschiedene Sprichwörter auf, manche über 10 Mal.
hnliche Kritik zum Deutschen Sprichwörter Lexikon wurde schon von Wanders Zeitgenossen Otto Freiherr von Reinsberg-Düringsfeld in der Zeitschrift für Politik, Literatur und Kunst, dem Grenzboten, 1873, 1. Band geäußert.
Im Internet die Seiten 105 bis 112:
https://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/129105?query=Reinsberg.
Wanders Antwort darauf im Vorwort seines Deutschen Sprichwörter Lexikons, Band 3 aus dem Jahr 1873, ab Seite VIII:
https://commons.wikimedia.org/w/index.php?title=Category:Wander_DSL_3/ . . /_0008.jpg
Schon Jahrzehnte vor seinem Sprichwörter Lexikon wurde Wander kritisiert, das seine angeblichen Sprichwörter keine seien. So die Kritik zu seinen Büchern „Scheidemünze oder neue deutsche Sprichwörter“ Band 1 und 2 aus den Jahren 1831 - 1832 im „Allgemeinen Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ Nr. 249, 13. September 1837, Spalten 3169 bis 3174 unter der Überschrift: „Sprachkunde Neue Sprichwörter“ Die Meinung von Dr. Karl Rosenkranz in einem Gutachten zur Sprichwörtersammlung von Hermann Frischbier: „Sprichwörter erfindet man nicht, sondern man findet sie.“, der ich voll inhaltlich zustimme.
Beispiel: Julius Altmann und russische Sprichwörter:
Julius Altmann verbrachte zwischen 1838 und 1843 fast 6 Jahre im Herzen Russlands und sammelte mehrere Tausend russische und andere Sprichwörter und veröffentlichte sie von 1852 bis 1855 in mehreren Ausgaben des Jahrbuchs für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft und im Magazin für die Literatur des Auslandes. Darin enthalten mehrere Tausend russische Sprichwörter, die Wander in das Deutsche Sprichwörter Lexikon übernahm. 99 % davon mit eigener Nr. ohne ein vergleichbares deutsches Sprichwort und oft mit verändertem Wortlaut. Mal mit dem Zusatz: „Aehnlich die Russen“, „Aehnlich russisch“, mal auch „Die Russen“ oder „Altmann“ und mal das russische Sprichwort unter dem veränderten Text von Wander. Da bei über 99% eine Quellenangabe für den von Wander vorangestellten Text des veränderten russischen Sprichworts fehlt (über 4000 von Altmann), wird der Laie es fälschlich für ein wirkliches Deutsches halten, was es nicht ist.
Ein Beispiel, bei Wander das Sprichwort unter dem Stichwort Wind Nr. 145:
Soll der Wind dem Matten frommen, muss er vom Meere kommen.
Wie bei über 200 anderen auch: Ohne Quellenangabe. Hinweis darunter: Aehnlich russisch, Altmann. Das originale russische Sprichwort bei Altman: „Soll der Wind die Hitze kühlen, muss er von der See wehen.“
Hier stehen Sprichwörter, die in Wanders Deutschen Sprichwörter Lexikon mangels Hinweis fälschlich als deutsche Sprichwörter angesehen werden können und wurden, es aber nicht sind. Diese Sprichwörter stehen in manchem anderen Sprichwörterbuch der letzten 140 Jahre als vermeintlich Deutsches, da sie von Wander abgeschrieben wurden.
Von diesen ursprünglich fremdsprachigen Sprichwörter oder Zitaten, die in jüngeren deutschen Sprichwörterbüchern öfters fälschlich als deutsche Sprichwörter aufgeführten werden, sind hier einige. Im Deutschen Sprichwörter Lexikon gibt es etliche Tausend, zu viele für diese Seite.
Zusätzlich hat Wander tatsächliche deutsche Sprichwörter, die in etlichen älteren Veröffentlichungen stehen, verändert, verfälscht, den Wortlaut in anderer Reihenfolge wiedergegeben, Sprichwörter auseinandergenommen oder zusammengefügt oder gleichlautend mehrfach aufgeführt. Ebenso stehen viele Versionen desselben Sprichwortes eigenständig an unterschiedlichen Stellen. Falsche oder fehlende Quellen runden das Bild ab.
Beispiel:
Wer alles will verfechten, der hat gar viel zu rechten.
Wer alles will verfechten, hat allezeit zu rechten.
Das Sprichwort: „Wer alles will verfechten, der hat gar viel zu rechten.“ steht bei Wander im Deutschen Sprichwörter Lexikon wörtlich gleichlautend gleich zwei Mal: Das 1. Mal unter Alles. Nr. 46 ohne Quellenangabe, das zweite Mal unter Verfechten Nr. 2 mit zwei falschen Quellenangaben: Simrock Nr. 10844 und Körte Nr. 6233. Unter den von Wander angegebenen Stellen steht: „Wer alles will verfechten, hat allezeit zu rechten.“ Diese Version fehlt bei Wander. Die richtige von Wander nicht angegebene Quelle ist dagegen bei Simrock unter Nr. 145 zu finden. Im Sinne von diesem Sprichwort sind in dieser hier aufgeführte Liste nur Beispiele und sie ist bei Weitem nicht vollständig.
Wenn das Pferd tot ist, kommt der Hafer zu spät.