Wie macht / produziert man Sprichwörter?
Dafür muss man laut Wander: „das für diesen Zweck gebildete Sprachgefühl – ich (Wander) möchte es das Sprichwörterohr nennen – besitzen. . . und dann kann nichts als das rasch erkannte Gepräge, das dem Sammler eigene Sprachgefühl, der Sprichwörter-Instinkt, wenn ich so sagen darf, entscheiden.
Ich habe die Sprichwörter nach den obigen Ansichten aufgenommen, auch von keinem meiner geehrten Mitarbeiter einen tabellarischen Nachweis darüber verlangt, ob es ein wirkliches, normal entstandenes, durch Volksbeschluss als solches bestätigtes Sprichwort und nicht ein untergeschobener Wechselbalg sei; . . und mein Leben schien mir zu kurz, um bei jedem einzelnen Ausspruch, den ich bei einem Schriftsteller, in einer Zeitung angeführt fand, oder der mir von einem Sammler und Mitarbeiter geboten wurde, lange und unfruchtbare Erörterungen obiger Art anzustellen. Wenn ich ein Sprichwort einmal auf der Straße oder im Umgange hörte, wenn ich es einmal in einer Schrift angeführt fand, wenn es mir als Sprichwort zugesandt wurde, so nahm ich es in meine Sammlung auf. So ganz ohne Prüfung bin ich indes nicht verfahren; ich sah zunächst schon auf den sprichwörtlichen Charakter und suchte womöglich die Quelle anzugeben, aus der geschöpft war, das Land oder den Ort, wo es vernommen worden u. s. w.,“
(aus der Vorrede zum ersten Band des Deutschen Sprichwörter Lexikons Seite 13 - 14)Aus den Text von
Abraham a Sancta Clara hat Karl Friedrich Wilhelm Wander geschöpft und laut seinem Vorwort sämtliche Sprichwörter, Gleichnisreden, überhaupt alles, was sprichwörtliches Gepräge habe, sorgfältig gelesen und ausgezogen und 1838 in seinem Buch
„Abrahamisches Parömakon“ veröffentlicht. Dass die Sprichwörter augenscheinlich nicht bekannt sind, soll der Ursache geschuldet sein, dass sie von Abraham a Sancta Clara so eigentümlich formuliert sind und wohl selten angewandt werden.
Die ersten 5 „Sprichwörter“ aus „Judas Der Ertz-Schelm“ von Abraham a Sancta Clara ausgezogen lauten in Wanders Buch „Abrahamisches Parömiakon“ von 1838, teilweise mit anderem Wortlaut als bei A. a Sancta Clara: 1. Wenn man den Kalk anfeuchtet, so entzündet er sich. — Nicht weniger tut das Übermaß des Weintrinkens ungebührende Venusflammen in dem verwandten Leib erwecken. 2. Weiber und Weinbeeren machen alle Beutel leer.Oder:
3. Die vollsten Beutel machen Weiber und Weinglas eitel. 4. Auf den Weinmonat folgt im Kalender der Wintermonat, also auf vieles und ungezähmtes Weinsaufen geht es gemeiniglich kühl her und schleicht die Armut ein, wie ein stummer Bettler. 5. Die Kandel und Andel bringen einen armen Wandel, deswegen sollte Bacchus von Rechtswegen in der einen Hand einen Regimentsstab, in der andern einen Bettelstab führen; nicht weniger auch Venus tut die Taschen leeren. . . . . . . . . . . . . . . . .
Der Originaltext aus „Judas Der Ertz-Schelm“ von Abraham a Sancta Clara, Bd. 1. Salzburg, 1686, auf Seite 4 bis 5 lautet:"Zu Dotrecht in Holland war nicht gar vor vielen Jahren ein Gesell, welcher fein sauber all das Seinige verschwendet durch stete Schlemmerei und Unsauberkeit, denn diese beide gemeiniglich verwandt sind und wenn Bacchus hinter dem Ofen sitzt, so heizt die Venus ein und sind diese so nahe beieinander, wie der Knopf bei der Hose. Auch zeigt es die öftere Erfahrung, dass Feuchtigkeit und nässe den Kalk anzündet, nicht weniger tut das Übermaß des Weintrinkens ungebührende Venusflammen in dem verwanden Leib erwecken, die Weiber aber und Weinbeere machen mehristen Teil alle Beutel eitel und gleichwie in dem Kalender auf den Weinmonat der Wintermonat folget, also auf vieles und ungezähmtes Weinsaufen geht es gemeiniglich kühl her und schleicht die Armut ein, wie ein stummer Bettler. Dessenthalben soll Bacchus von Rechts wegen in einer Hand ein Regimentsstab, in der anderen Hand ein Bettelstab führen. Nicht weniger auch Venus tut die Taschen leeren, bringen also die Kandl und Andl einen Menschen zu einem armen Wandel."(Andere Ausgaben sind gleichlautend.)Allein das „Sprichwörterohr“ von Wander erkannte diese „Sprichwörter“, unabhängig davon, das sie nicht als Sprichwörter im Umlauf waren. Alle Stellen, in denen diese als „Sprichwörter“ auftauchen, datieren nach 1838 und haben wohl aus Wanders Werk geschöpft. Aus der Zeit vorher gibt es keine auffindbare Quelle, in der einer dieser Sprüche außerhalb des Textes von Abraham a Sancta Clara zitiert, oder als Sprichwort bezeichnet wird. Das schließt nicht aus, das Sancta Clara an anderen Stellen auch Sprichwörter gebraucht hat. Die sind aber dann unabhängig von ihm auch bei anderen Autoren als Sprichwörter zu finden. .............
Einträge im Deutschen Sprichwörter Lexikon von Wander: 1. Wenn man den Kalk anfeuchtet, so entzündet er sich.(Stichwort Kalk Nr. 13, angegebene Quelle: Parömiakon, 1.)2. Weiber und Weinbeer machen alle Beutel leer.(Stichwort Weib Nr. 1128, angegebene Quelle: Parömiakon, 2, Leipziger Tageblatt, Nr. 260 vom 16.9.1864, Seite 1 (Spruch von Abr. a Sancta Clara))(Möglicherweise hat Wander diesen Spruch in Anlehnung an ein anderes Sprichwort bei Sailer, Seite 100 formuliert: „Drei W machen viel Beutel leer: Würfel, Weiber, Weinbeer'.“ Würfel oder Spiel in Verbindung mit Weib und Wein oder Weinbeere kommen auch in anderen Sprichwörtern und bei anderen Autoren öfters vor.)3. Die vollsten Beutel machen Weiber und Weinglas eitel.(Stichwort Beutel Nr. 24, im Sprichwörter Lexikon von Wander ohne Quellenangabe.)4. Auf den Weinmonat folgt der Wintermonat.(Stichwort Weinmonat Nr. 1, angegebene Quelle: Parömiakon, 4.)5. Kandel und Andel bringen einen armen (bösen) Wandel.(Stichwort Kandel Nr. 1, angegebene Quelle: Parömiakon, 5) Andel und Kandel machen einen bösen Wandel.(Stichwort Andel (Diminutiv von Anna), angegebene Quelle: Parömiakon, 5)Weitere von Wander angegebene Quellen, in denen aber ein etwas anderer Text für das Sprichwort steht. Wander bemängelt den anderen Text bei Karl Simrock als Druckfehler. Wahrscheinlich hat Braun 1840 von Wander (1838) abgeschrieben und den Text etwas verändert, alle anderen dann von ihm.: Kandel und Andel bringen einen warmen Mantel.(Braun 1840, Nr. 1740; Marbach 1842, Seite 52; Simrock 1846, Nr. 5395; Wilhelm Körte zweite Auflage 1861, Nr. 4085 (sind ein warmer Mantel.) Nicht in Körtes 1. Auflage von 1837 enthalten) .............
Von Wander angegebenen Quellen zu Sprichwörtern von Abraham a Sancta Clara stammen aus seinem eigenen Buch „Abrahamisches Parömakon“ von 1838, also von ihm selbst oder von anderen, die ihrerseits von ihm abgeschrieben haben. So kann man aus Texten vieler Autoren mit etwas Geschick und Sprichwörterohr Sprichwörter herausziehen und mit Wortumstellungen zu Sprichwörtern machen. Auf Seite 5 der Vorrede in Band 1 des Sprichwörter Lexikons zitiert Wander aus einem Gutachten der Gesellschaft für deutsche Sprache in Berlin „Weil es als Münze, unbesehen und unverändert umläuft, wird nicht jeder Denk- noch Sinnspruch zum Sprichwort." Leider richtet sich Wander nicht danach. Etliche seiner „Sprichwörter“ sind keine Sprichwörter, da sie nie als Sprichwörter unter den Menschen bekannt geworden sind oder umgehen. Sie bleiben, was sie vorher waren, Zitate aus Büchern anderer Autoren, auch wenn sie später bei Wander als „Sprichwörter“ abgeschrieben wurden. Nur wenn sie auch in anderen Quellen zu finden sind, sind es wahrscheinlich wirklich Sprichwörter.
Ein Beispiel für ein echtes Sprichwort durch ältere Quellen:
„Er schickt sich in alle Sättel.“ steht in „Abrahamisches Parömakon“ unter Nr. 2764. Bei A. a Sancta Clara steht im „Wohl angefüllter Weinkeller“ auf Seite 471: „Ein Schmeichler schickt sich in alle Sättel.“ Hier hat auch Sancta Clara ein Sprichwort zur Verdeutlichung seiner Gedanken verwendet. Ältere Quellen finden sich in der deutschen Ausgabe der Baierische Chronik von Johannes Aventin (1477 - 1534), herausgegeben 1566 (Auf alle Sachen und alle Sättel geschickt.), in „Florilegium Ethico-Politicum“ von Jan de Gruytere (1560 - 1627) aus dem Jahr 1612 und 1630 im Politischen Blumengarten von Christoph Lehmann (1568 - 1638), (bei beiden : „Zu schimpf und ernst auf alle Sättel gerecht.“).
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Aus einem Gutachten von Dr. Karl Rosenkranz, Rat 1. Klasse und ordentlicher Professor an der Königlichen Universität zu Königsberg zur Sprichwörtersammlung „Preussische Sprichwörter“ von H. Frischbier aus dem Jahr 1864 in der 2. Auflage 1865, Seite 320:
„Sprichwörter erfindet man nicht, sondern man findet sie.“
Leider hat Wander in seinem Deutschen Sprichwörter Lexikon zu viele Sprüche selbst produziert und erfunden. Auf dieser Website sind deutsche Sprichwörter mit S dagegen in den originalen Quellen vorhanden, ebenso wie alle anderen Sprichwörter aus Deutschland von A bis Z. Wenn hier trotzdem besondere, wichtige, neue oder häufige Sprichwörter aus Deutschland fehlen sollten, bitte eine Nachricht mit Quellenangabe/Fundort an die E-Mail Adresse auf der Seite Kontakt.